St. Katharinen ist die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters in Lübeck.
Die lichtdurchflutete dreischiffige Backsteinbasilika war einst das Zentrum des Franziskanerordens im gesamten Ostseeraum.
Heute ist die Katharinenkirche die einzige der vier ehemaligen Klosterkirchen Lübecks, die noch erhalten ist.
Die Franziskanermönche suchten nicht die Einsamkeit wie Mönche anderer Orden, sondern predigten zu den Menschen und ließen sich deshalb bevorzugt in Städten oder Stadtnähe nieder. Sie lebten selbst arm und bescheiden, kümmerten sich besonders um die Armen und Kranken und gingen ihrer Tätigkeit als Prediger, Lehrer und Seelsorger nach. Dadurch gewannen sie in den wachsenden mittelterlichen Städten rasch an Bedeutung.
Mit der Entstehung Lübecks und dem aufkommenden Handel und Geldverkehr stellte sich die Frage, wie der neu erlangte Wohlstand und die christliche Lehre zu vereinbaren seien. So wurde dem noch sehr jungen Franziskanerorden bereits 1225 von der Stadt Lübeck ein Grundstück für den Bau ihres Klosters zugewiesen. Schon bald hatten sich verlässliche Bündnisse gebildet und die Franziskaner erhielten großzügige Spenden.
Die Franziskaner
Die 1210 von Papst Innozenz III. bestätigte Ordensgemeinschaft entwickelte sich aus der Anhängerschaft des Franziskus von Assisi (1181/1182 bis 1226) heraus. Der als Kaufmannssohn geborene Francesco Giovanni Bernardone entsagte seinem weltlichen Wohlstand und lebte fortan im Einklang mit den Geboten des Evangeliums. Dieses Armutsgebot stellt die Grundlage für das Selbstverständnis der Franziskanergemeinschaft dar. Deshalb bezeichnet man die Franziskaner als Bettelorden.
Der Franziskanerorden hat schon früh das Begräbnisrecht durch den Papst zugesprochen bekommen, sodass viele Franziskanerkirchen zu sehr beliebten Begräbnisstätten zählen.
Die Heilige Katharina
Katharina von Alexandrien ist als Schutzpatronin der Schulen und philosophischen Fakultäten eine der bekanntesten Heiligen und Märtyrerinnen.
Die Legenda aurea, eine der wichtigsten mittelalterlichen Quellen für Heiligenlegenden, erzählt ihre Geschichte: die Heilige Katharina war eine jungfräuliche Königstochter, die sich dem römischen Kaiser Maxentius entgegenstellte, als dieser auch von Christen heidnische Opfer verlangte. In einer öffentlichen Diskussion mit den 50 besten vom Kaiser aufgebotenen Gelehrten argumentierte Katharina so überzeugend zugunsten des Christentums, dass sich ihre 50 Gegner zu Christen taufen ließen. Daraufhin ließ der Kaiser Katharina auspeitschen und sie ins Verließ einsperren. Dort aber erhielt sie Beistand von deiner weißen Taube, die ihr Nahrung brachte und von Engeln, die ihre Wunden pflegten, sodass sich auch die Wachen zum Christentum bekehrten.
Schließlich sollte Katharina gerädert und gevierteilt werden, doch herbeigerufene Engel zerstörten das Folterinstrument. Letztendlich ließ der Kaiser Katharina enthaupten, doch aus ihrer Halswunde floss Milch statt Blut. Engel ergriffen ihre sterblichen Überreste und brachten sie auf den Berg Sinai.
Auf diesem Flügelretabel (Altaraufsatz) aus der Katharinenkirche, das sich heute im St. Annen-Museum befindet, und der Wandmalerei auf einer Treppe in der Kirche sind die Heilige Katharina und der Heilige Franziskus deutlich an ihren Attributen zu erkennen:
Das Kloster und die Klosterkirche wurden der heiligen Katharina geweiht, die als Patronin der Lehrenden und Lernenden gilt. Im Kloster wurde Wissen gesammelt und weitergegeben. Auch die Bürger Lübecks profitierten davon, so wurden hier unter anderem Verlobungsabsprachen getroffen und die erste Stadtchronik geschrieben. Bis heute lebt diese Bildungstradition in den ehemaligen Klostergebäuden mit der Stadtbibliothek und dem Gymnasium Katharineum fort.
Die Katharinenkirche wurde in der Zeit zwischen 1300 und 1360 errichtet.
Nicht zuletzt wurde der Bau des Katharinenklosters durch Spenden in Zeiten der Pest finanziert. Als die Pestepidemie Lübeck 1350 zum ersten Mal erreichte, stieg die Anzahl frommer Gaben an kirchliche Einrichtungen in der Stadt stark an, denn damit erhofften sich die Gläubigen im Angesicht des Todes die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Lange Zeit bleibt das Geldspenden die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas gegen die Seuche zu unternehmen. So zeugt im nördlichen Kreuzgang des Klosters noch heute eine Inschrift von 1353 von der bedeutenden Geldquelle.
Bis zur Auflösung des Klosters im Jahr 1531 im Zuge der Reformation diente sie als Klosterkirche des Bettelordens. Die 75 Meter lange Kirche bot für die Versammlungen der Mönche der übrigen, jüngeren Franziskanerkonvente des Ostseeraums und bei Festgottesdiensten mehreren hundert Menschen Platz.
Doch auch nach der Reformation behielt die Kirche ihre sakrale Funktion und diente bis ins 18. Jahrhundert hinein als begehrter Begräbnisort für prominente Lübecker Bürgerinnen und Bürger. Davon zeugen zahlreichen Grabplatten, die fast den gesamten Fußboden der Kirche bedecken, und die prächtigen als Grabstätten ausgestalteten Kapellen.
Nach der Auflösung des Katharinenklosters wurden die Klostergebäude als städtische Lateinschule genutzt. Der Name des Gymnasiums »Katharineum«, das aus der Lateinschule hervorgegangen ist, erinnert noch heute an das alte Kloster.
In der Zeit der französischen Besatzung Lübecks durch die napoleonischen Truppen (1806-1813) wurde die Kirche entweiht und diente von da an ausschließlich profanen Zwecken, unter anderem als Lazarett.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden hier Altäre von in der Franzosenzeit aufgelösten Kirchen aus ganz Norddeutschland und Lübecker Altertümer gesammelt. Der bekannte Künstler und Zeichenlehrer des an die Kirche angeschlossenen Katharineums Carl Julius Milde hatte sich mit dafür eingesetzt, die mittelalterlichen Kunstwerke auf dem funktionslos gewordenen Oberchor auszustellen. Die daraus hervorgegangene 1848 in der Kirche eröffnete „Sammlung Lübeckischer Kunstaltertümer“ bildete den Grundstock für das 1915 gegründete Museum für Kunst und Kulturgeschichte Lübeck.
Die Katharinenkirche gehört trotz ihrer schlichten Architekturformen zu den schönsten Backsteinkirchen der Stadt. Das Mittelschiff überragt die zwei Seitenschiffe deutlich und seine spitzbogigen Fenster lassen viel Licht herein. Als Kirche eines Bettelordens wurde sie ohne Turm erbaut. Doch unter den Bettelordenskirchen der Hochgotik sticht die gewölbte Backsteinbasilika durch ihre edle Formgebung deutlich heraus. Mit dem spitzen Giebel und der spitzbogigen Wandgliederung der Schauseite erinnert sie an die Fassaden der großen Lübecker Kaufmannshäuser.
Besonders auffällig an der Fassadengestaltung ist die Verschiebung des Hauptportals aus der Achse des Mittelschiffs. Dennoch befindet sich das Hauptportal genau in der Mitte der Westwand, denn die Katharinenkirche hat wegen des Verlaufs der Glockengießerstraße asymmetrische Seitenschiffe. Diese Asymmetrie im oberen Teile der Fassade wird durch eine reiche Nischenanordnung seitlich der beiden großen Fenster des Mittelschiffs abgemildert. Aufgrund der Enge der Straße wird das Auge aber fast gänzlich über diese Differenz zwischen der scheinbar symmetrischen Lösung des Untergeschosses und der Asymmetrie der oberen Partien hinweggetäuscht.
Klassische Moderne trifft Gotik
1929 entwarf Ernst Barlach für die ursprünglich leeren Nischen der Westfassade zwölf überlebensgroße Figuren, die er als „Gemeinschaft der Heiligen“ betitelte. Barlachs erste Entwurfszeichnung von 1929 veranschaulicht die geplante Aufstellung an der Fassade:
Nur drei dieser Keramikfiguren konnte Barlach vor seiner Verfemung durch die Nationalsozialisten ausführen: „Der Bettler“ 1930, „Der Sänger“ 1931 und die „Frau im Wind“ 1932.
Der Initiator und Fürsprecher Carl Georg Heise, der 1933 als Museumsdirektor entlassen wurde, hatte die expressionistischen Figuren während der Nazi-Zeit verteidigt. Es gelang ihm, die Figuren als Privatbesitz zu verstecken, sie vor einer Auslieferung als Entartete Kunst zu bewahren und sie damit zu retten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte Heise sich für ihre Aufstellung ein, sodass sie 1947 in ihren vorgesehenen Nischen der Fassade Platz fanden.
Carl Georg Heise
(* 28. Juni 1890 in Hamburg; † 11. August 1979 ebenda)
Carl Georg Heise ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der jüngeren Lübecker Kulturlandschaft. Von 1920 bis 1933 war er Museumsdirektor des St. Annen-Museums.
1920 gelang es ihm, ein in der Königstraße gelegenes Kaufmannshaus für die Stadt zu erwerben und zu einem Museum auszubauen. Im nach der letzten dort wohnhaften Familie Behn genannten Behnhaus fand er den geeigneten Ort, die Sammlung des 19. Jahrhunderts der Öffentlichkeit zu präsentieren, wie es der heute als Museum Behnhaus Drägerhaus bekannte Gebäudekomplex noch immer tut. Unter seiner Leitung wurde auch die Katharinenkirche als Museumskirche umfunktioniert und dem St. Annen-Museum zugeordnet.
Heise war ein Verfechter der neueren deutschen Kunst und förderte zeitgenössische Künstler aus der Region durch Aufträge und Ausstellungsmöglichkeiten. Dieses Engagement führte zu seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten im September 1933. Nach dem Krieg konnte er an alte Erfolge anknüpfen und wurde Direktor der Hamburger Kunsthalle (1945 bis 1955), leitete den Hamburger Kunstverein und hatte eine Professur an der Universität Hamburg inne.
Als Vervollständigung der Figurenreihe entwickelte Gerhard Marcks sechs weitere Figuren im Geiste Barlachs, die 1949 an der Fassade angebracht wurden.
Gemeinsam ist beiden Künstlern die Besinnung auf das grundlegend Menschliche; Marcks verleiht seinen Figuren jedoch einen etwas verhalteneren Ausdruck. Der Schmerzensmann, obschon vom christlichen Bildtypus inspiriert, symbolisiert für Marcks die Leiden der Menschheit – über alle Religionen hinweg.
In ihren Proportionen auf Untersicht angelegt, scheinen die eindringlichen Gestalten geradezu aus den Nischen herauszuwachsen - ein vollendetes Zusammenspiel von gotischer Architektur und moderner Plastik.
Die Raumfassung (Raumausmalung) täuscht mit den rot aufgemalten Fugen große Mauerquader vor und stammt aus der Bauzeit. Sie bestimmt gemeinsam mit der Architektur den Raumeindruck und betont besondere Gliederungselemente.
Grabsteine
Seitdem sich die Bettelmönche 1281 das Begräbnisrecht vom Papst erstritten hatten, war die Katharinenkirche eine bevorzugte Grablege für kirchliche und weltliche Würdenträger. Das überlieferte Versprechen der Franziskanerbrüder, bei Spenden und Stiftungen von wohlhabenden Bürgern, wie im Mittelalter üblich, für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten, war für beide Seiten ein Gewinn: für die besitzlosen Mönche, die Einkünfte für den Bau von Kirche und Kloster benötigten, sowie für die Bürger, die in ständiger Furcht vor dem Jüngsten Gericht und Bestrafungen im Jenseits lebten. Deshalb ist heute fast der gesamte Fußboden des Chors und des Langhauses mit über hundert steinernen Grabplatten aus dem Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert bedeckt.
Die Grabplatte des Bürgermeisters Johannes Lüneburg
Von den Grabplatten in der Katharinenkirchen ist die Messinggrabplatte des Bürgermeisters Johannes Lüneburg in der Apsis die kostbarste: In die metallene Grabplatte ist eine Darstellung des 1442 amtierenden Bürgermeister Lübecks fein eingraviert. Das Porträt zeigt den betagten Lüneburg lebensgroß in betender Haltung in einem kunstvoll gestalteten Tabernakelschrein. Er ist seinem Stand entsprechend in ein mit Pelz verbrämtes Brokatgewand gekleidet. An seinem locker umgeschnallten Gürtelriemen hängen eine Tasche und ein Dolchmesser. An den Füßen trägt er Schnabelschuhe. Sein Kopf ruht auf einem Kissen; die betend zusammengelegten Hände halten einen Rosenkranz. Zu seinen Füßen befindet sich der von zwei wilden Männern gehaltene Lüneburgsche Wappenschild, auf dem drei Türme zu sehen sind.
Mit diesem Platz hat er sich den prominentesten Ort in der Kirche gesichert, um bei der Auferstehung in vorderster Reihe zu sein.
Die umlaufende Inschrift nennt Johannes Lüneburg und sein Todesjahr 1461, sowie den gleichnamigen Sohn, gestorben 1474. Die Ecken der Inschrift zieren die vier Evangelistensymbole. Umrahmt wird das Ganze von einer Darstellung der Wurzel Jesse: Aus dem Jessebaum strebt feines Rankenwerk in Wellenlinien auf, in dessen äußeren Zwickel je sieben gekrönte bärtige Köpfe zu sehen sind, während in den inneren Zwickeln je sieben kleine Drachengestalten angebracht sind. Die Ranken münden an dem von einem Nimbus umstrahlte Haupt der Himmelsgöttin.
Die Grabplatte des mächtigen Kaufmanns hebt sich allein durch das glänzende Messing von den übrigen Steinplatten in der Katharinenkirche ab. Im Anspruch orientiert sich das Grab an fürstlichen oder bischöflichen Grablegen in anderen Gotteshäusern.
Bereits fünf Jahre vor seinem Tod sicherte sich der Bürgermeister Lüneburg gegen eine Spende von 60 Lübische Mark bei den Franziskaner das Recht, eine Grabplatte in seiner Familienkapelle aufzustellen. 1487 versicherten die Mönche, diesmal gegen eine Spende der Söhne, für den verstorbenen Vater jeden Morgen dort eine Messe zu lesen. Somit war garantiert, dass während der Messfeiern im Gedächtnis an Christi Tod und Auferstehung das Erinnern an den Vater einbezogen war. Außerdem waren Fürbitten tröstlich, denn die hohen Anforderungen der christlichen Lehre an ein gottgefälliges Leben hatten die Angst geschürt, im göttlichen Gericht nicht bestehen zu können. So entstand ein vielfältiges Stiftungswesen, um im Sinne der damals wichtigen Jenseitsvorsorge für die Erlösung der eigenen Seele und die der Verstorbenen zu sorgen.
Kapellen
Auch die schmuckvollen barocken und klassizistischen Grabkapellen im südlichen Seitenschiff zeugen davon, dass die Katharinenkirche zu den beliebtesten Grablegen der Lübecker Bürger gehörte.
Die Kapellen dienten im Mittelalter mehr als 20 Bruderschaften und wohlhabenden Familien als Andachtsort. Die Kapellen waren mit aufwendigen Altären ausgestattet, von denen sich heute einige im St. Annen-Museum befinden, wo sie unter konservatorisch günstigeren Bedingungen der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Unter all diesen Kapellen ist insbesondere die linke hohe Kapelle im nördlichen Seitenschiff vorne neben der Apsis hervorzuheben. Diese war dem Bürgermeister Crispin (1323) gewidmet.
Die Bildnisse der Stifterfamilie auf Holztafeln, die ehemals die rechte Seitenwand der Kapelle schmückten, sind heute im St. Annen-Museum ausgestellt.
Die Erweckung des Lazarus
Dieses eindrucksvolle Bild des venezianischen Malers Jacopo Tintoretto (1518–1594) diente den Lübecker Familien De Hane und Gude als Schmuck ihrer Privatkapelle, die in den ersten beiden südlichen Jochen der Kirche lag. Wo sie das Bild erwarben und wie es nach Lübeck kam, ist nicht bekannt. Hier wurde es aber zwei Jahre nach der Entstehung durch einen imposanten Holzrahmen eingefasst, der speziell für diesen Anbringungsort anfertigt wurde. Der Rahmen ist mit den vier Evangelisten und allegorischen biblischen Darstellungen inmitten einer reichen Renaissanceornamentik bemalt und zeigt die Wappenschilde der Stifterfamilien de Hane und Gude, sowie die Jahreszahl 1578 – das Jahr, in dem der Rahmen für seine Anbringung an dieser Stelle der Kirche geschaffen wurde.
Auch das Gemälde, das als Gedenkbild (Epitaph) in einer Familienkapelle an der Westwand diente, ist vor dem Hintergrund des Todes- und Auferstehungsgedankens zu verstehen.
Das Meisterwerk mit der »Erweckung des Lazarus« von 1576, das in Norddeutschland seinesgleichen sucht, schildert, wie der eben durch Jesus von den Toten auferweckte Lazarus von vier Männern aus einem antiken Sarkophag gehoben wird. Von den Jüngern des Heilands sind als dessen nächste Begleiter nur Petrus und Johannes hervorgehoben. Im Vordergrund der Szene knien Martha und Maria Magdalena.
Der Hl. Lazarus
Lazarus und seine Schwestern Maria Magdalena und Martha waren gute Freunde von Jesus. Als Jesus von der Krankheit und dem Tod des Lazarus erfährt, reist er zum Verstorbenen nach Bethanien. Bei seiner Ankunft ist Lazarus bereits seit vier Tagen in einer Höhle beigesetzt. Jesus lässt den Stein vom Grab wegwälzen und erweckt Lazarus von den Toten (Joh 11,1–45). Die Auferweckung des Lazarus gilt als Zeichen für die spätere Auferstehung Jesu selbst.
Lübeckische Kunst außerhalb Lübecks
Im Zuge der 700-Jahr-Feier der Reichsfreiheit Lübecks im Jahr 1926 fand in der Katharinenkirche die Ausstellung „Lübeckische Kunst außerhalb Lübecks“ statt. Um die Bedeutung des mittelalterlichen Kunstschaffens der Hansestadt für ganz Nordeuropa zu demonstrieren, präsentierte die Ausstellung Gipsabgüsse berühmter mittelalterlicher Skulpturen Lübecker Herkunft, die in der Hansezeit in den gesamten Ostseeraum exportiert wurden.
Ein zentrales Exponat dieser Ausstellung war der Gipsabguss der monumentalen St. Jürgen-Gruppe aus der Nikolaikirche in Stockholm. Dieser kann auch heute noch in St. Katharinen besichtigt werden. Die originale Skulptur in Stockholm schuf der Bildhauer Bernt Notke (1435-1509) mit der Unterstützung von Mitarbeitern seiner Werkstatt in Lübeck.
Lettner
Der Eindrucksvolle Lettner trennt den Chor, der dem Klerus vorbehalten war, vom übrigen Kirchenraum, der für die Laien bestimmt war. Über ihm ragt eine imposante Triumpfkreuzgruppe empor.
Chortreppe
Ursprünglich war der Zugang vom Kirchenraum zum Oberchor nur durch zwei enge, versteckt angeordnete Wendeltreppen möglich. Die heute benutzte breite Treppe rechts vom Lettner, deren Front mit Szenen aus dem Leben des Heilige Franziskus bemalt ist, stammt erst aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Der Chor
Im Osten des hohen lichten Mittelschiffs verbirgt sich hinter dem Lettner eine für Franziskanerkirchen ungewöhnliche architektonische Besonderheit: ein zweigeschossiger Chor.
Diese doppelgeschossige Choranlage verdeutlicht die beiden Bezugspunkte der Franziskaner in Lübeck: zum einen das besonders enge Verhältnis zu den Bürgern, die im Unterchor bestattet werden; zum anderen die enge Anbindung an die Mutterkirche des Ordens im italienischen Assisi, indem sie die Zweigeschossigkeit der Basilika San Francesco zitiert.
Dem Besucher bietet sich der Chor wie eine Bühnenarchitektur dar: Den unteren Teil bildet die dreischiffige Säulenhalle des Unterchors, die an eine Krypta erinnert. Sie gibt den Grabstätten hochrangiger Bürger einen würdigen Rahmen.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die reich verzierten Schlusssteine der Gewölbe im Unterchor. Sie zeigen neben Laubwerkdekor auch figürliche Elemente: überkreuz angeordnete Bischofsbildnisse, Tierleiber von Vögeln, Pferden oder Drachen mit Menschenköpfen. Eine exakte Deutung der fantasievollen Mischwesen ist kaum möglich, da die Triebhaftigkeit der Tiere in mittelalterlichen Darstellungen vielfältigen Ausdruck fand.
Anders ist es bei folgenden Szenen, wo sich Darstellungen der Fuchsfabel erhalten haben: Der Fuchs als Pilger, predigend vor den Gänsen, und der Fuchs am Galgen. Hier zieht der schlaue Fuchs, obschon verurteilt, durch List seinen Kopf aus der Schlinge und verführt Dümmere. Die Szene diente als indirekte Warnung vor der List des Teufels.
Zugrunde liegt die antike Fabel des Äsop, die sich im Mittelalter in verschiedenen Versionen zu einem literarischen Versepos verdichtete. 1498 wurde erstmals in Lübeck der niederdeutsche Reynke de vos gedruckt und avancierte daraufhin zum Verkaufsschlager. Selbst Johann Wolfgang von Goethe widmete sich dem fabelhaften Stoff im Reineke Fuchs.
Über dem Unterchor erhebt sich der lichtdurchflutete Oberchor. Ursprünglich konnten die Ordensbrüder von ihrem Schlafsaal, dem Dormitorium, im Obergeschoss des angrenzenden Klosters geradewegs in die Oberchor gelangen, um hier fünf bis sieben Mal am Tage und in der Nacht ihre Stundengebete abzuhalten.
Hier im Oberchor steht zu beiden Seiten das aus Eichenholz gefertigte Chorgestühl der Franziskanermönche aus dem 14. Jahrhundert. Die Malerei über den Mönchssitzen, die Heilige, kirchliche Würdenträger, Gelehrte und Persönlichkeiten des Franziskanerordens darstellt, stammt aus dem 15. Jahrhundert. Das Bildprogramm ist in diesem Umfang äußerst seltenen und lediglich mit den Darstellungen auf dem Chorgestühl in Assisi vergleichbar.
Die hohe Rückwand der Chorsitze wird knapp oberhalb der Kopfhöhe der Sitzenden durch einen flachen Maßwerkbogen in einen schlichten unteren und einen figürlich bemalten oberen Teil gegliedert. In den einzelnen Feldern sind auf abwechselnd rotem und grünem Hintergrund in der Regel paarweise einander zugewandte Kleriker zu sehen. Den Figuren sind erläuternde Schriftbänder in gotischer Minuskelschrift beigegeben. Außerdem befinden sich in den unteren Ecken der Gemälde kleine Schilde mit unbekannten Wappen, die wahrscheinlich den ursprünglichen Inhabern der Plätze angehört haben. Über den Sitzen befindet sich eine Überdachung, deren Innenseite blau gefasst und mit Sternen verziert ist.
Heute ist die Katharinenkirche eine Museumskirche, die mit ihrer Architektur und reichen Innenausstattung deren wechselvolle Geschichte präsentiert.
Alle Abbildungen: © Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck